Die neue, topologisch gedachte Stadt entsteht überall dort, wo Menschen sich einander öffnen. (Vilém Flusser)

 

Jens Mofina:

Netze im Netz
auf dem Weg zu intersubjektiven Stadtentwicklung

- zur Integration realer und digitaler Städte, virtueller Welten und planerischer Möglichkeiten





Schwerpunktarbeit am Institut für Stadt- und Regionalplanung / TU Berlin im Schwerpunkt III – Örtliche und Regionale Gesamtplanung - eingereicht: Januar 2002

Betreuer: Dipl.-Soz.-Wiss. Simon Güntner / Dipl.-Ing. Holger Pietschmann Autor: Jens Mofina weitere Infos: www.cityandbits.de

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Abstract: Schon immer sind Städte Spiegel gesellschaftlicher Zustände und Bedürfnisse. Sie finden ihren Ursprung in dem Streben nach Agglomeration und im Wunsch nach räumlicher Nähe.
Genauso wie sie für gesellschaftliche Zustände stehen, prägen Städte gerade in heutiger Zeit das was unter Gesellschaft und gesellschaftlichem Zusammenleben verstanden wird – leben wir doch in einer weitestgehend urbanisierten Welt.
Gesellschaften sind jedoch keineswegs stagnierende oder gar stabile Institutionen. Technologische oder gesellschaftlich-politische Innovationen, widerstreitende Interessen und die daraus hervorgehenden konsensualen Zusammenstimmungen halten Gesellschaften in einem ständigen Wandel von Bedürfnissen und der Möglichkeiten ihrer Erfüllung. Das dies eine Frage von hoher historischer Bedeutung ist, kann am sehr heterogenen Gesicht der Städte - der baulichen sowie räumlich-funktionalen Unterschiede abgelesen werden.
In jüngerer Zeit stellen gewandelte Bedürfnisse, wie Individualisierung oder Globalität, aber auch durch technologische Innovationen (Netztechnologien, Cyberspace und mobile Informations- und Kommunikationsanwendungen) erweiterte Möglichkeiten, Städte vor neue Herausforderungen – ja gerade vor die Aufgabe, eine neue bzw. veränderte gesamtgesellschaftliche Bedeutung auszuprägen.

Diese Arbeit soll vor dem Hintergrund historischer Wandlungserscheinungen von Städten, basierend auf der Betrachtung der traditionellen städtischen Funktionen:

  • Stadt als Ort der Öffentlichkeit und Aufklärung, d.h. Stadt als Ort der Information und Kommunikation
  • Stadt als Ort der Transaktion und Produktion
  • Stadt als Wissensspeicher und Kernzelle wissenschaftlicher Innovation
  • Stadt als Ort des kulturellen Austausches und Entertainment

aktuelle Auswirkungen, technologischer Innovationen weltweit verfügbarer Netztechnologien und den in Verbindung mit umfassenden Sinnes- und Cyberspace-Technologien sich herausbildenden virtuellen Parallelwelten, untersuchen.

Welche traditionellen Funktionen und Nutzungen "wandern" in den virtuellen Raum? Worin liegen die Gründe dafür und wie werden sich Nutzungsverteilungen zukünftig gestalten?

Aus der Beantwortung der Frage, welche Auswirkungen damit für die natürlich-räumliche Stadt in den genannten funktionalen Dimensionen verbunden sind, soll der Frage nachgegangen werden, welches Stadtverständnis es auszuprägen gilt, um eine Verbindung von virtueller und natürlicher Welt möglichst sinnvoll und für Gesellschaft sowie Individuum nutzbringend entstehen zu lassen.

Worin liegen die zu erwartenden negativen Auswirkungen in einer sich durch das "Virtuelle" ins Unendliche erweiternden Räumlichkeit und wie lassen sich positive Effekte beider Dimensionen synergetisch zusammenführen? Welche Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bieten sich für Stadtplaner und Stadtsteuerer?

Traditionelle ingenieurwissenschaftliche Planungstätigkeiten beschäftigen sich mit der Abwägung konkurrierender Raumansprüche durch die Vielzahl städtischer Funktionen und Interessen (Wirtschaft – Soziales – Ökologie – Kultur / Öffentlichkeit – Privates / Langfristigkeit – Kurzfristigkeit / usw.) in Zusammenhang mit der Berücksichtigung von Umsetzungsspielräumen sowie technologischen Möglichkeiten und Grenzen.
Eine sich dramatisch verändernde Funktionszuweisung natürlich-städtischer Räume verbunden mit weitreichenden neuen technologischen Möglichkeiten stellt demzufolge voraussichtlich nicht nur die kulturell-philosophische Frage nach dem Stadt- und Planungsverständnis sondern ist auch entscheidend für eine möglichst sinnvolle und langfristige ingenieurwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Stadt und Region.
So gilt es für die Ingenieurwissenschaften zu klären, was Betrachtungsgegenstand sein soll, wo Stadt anfängt und aufhört, sowie Klärung zu erhalten, was die zu berücksichtigenden städtischen Funktionen der Gegenwart und Zukunft sind und inwieweit Virtualität einer ingenierwissenschaftlichen Auseinandersetzung bedarf – greift doch hier in einer sich ins Unendliche erweiternden virtuellen Welt das Prinzip der konkurrierenden Nutzungsansprüche auf die beschränkte Ressource des Raumes scheinbar nicht mehr.
Die Arbeit versucht dem Anspruch gerecht zu werden, eine Vielzahl von Fragestellungen miteinander zu verbinden und die wichtigsten städtischen Dimensionen in die Diskussion um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft städtischer Konstitution mit einzubeziehen. Da der Umfang der Arbeit oftmals nicht genug Raum bietet, um alle Frage in der nötigen Detailliertheit zu beleuchten, bleiben viele Punkte nur unzureichend beleuchtet. Zahlreiche weiterführende Informationen sind in den Quellenverweisen zu finden. Auch das Verständnis, bei dieser Arbeit handele es sich um ein abgeschlossen und konsistentes Gesamtwerk muß zurückgewiesen werden. Es handelt sich vielmehr, um den Versuch, Gedanken und Erkenntnisse fremder Wissenschaftsdisziplinen durch Neukombination und Weiterentwicklung in die Diskussion um die Zukunft der Stadt einzustellen.

Ein Hinweis zur Lesbarkeit: Die Struktur der Arbeit bietet es an, sie nicht linear lesen müssen. So werden z.B. einige Teilkapitel, wie Kapitel 1 (Aussagen zur historischen Bedeutung der Stadt) oder auch Kapitel 2.2 (Aussagen zu aktuellen technologischen Basisentwicklungen) zum Verständnis der anderen Kapitel von entsprechend vorgebildeten Lesern nicht zwangsläufig benötigt. Kapitel 4 steht im Zentrum der Herausbildung eines neuen Stadtverständnisses unter Reflektion aktueller raum- und stadtphilosophischer Debatten und ist wichtige Grundlage der Entwicklung planerischer Handlungsansätze (dargestellt in Kapitel 5), empfiehlt sich aber in erster Linie dem philosophisch-kulturell interessierten Leser.

Gliederung:

1 Stadt als Ort der Information, Kommunikation, Gesellschaftsbildung und Produktion

1.1 Konstituierende Gründe für städtische Strukturen
1.2 Stadt als Ort der Öffentlichkeit und Aufklärung - zur Bedeutung von Information und Kommunikation
1.3 Stadt als Ort der Transaktion und Produktion
1.4 Stadt als Kernzelle wissenschaftlicher Innovation
1.5 Stadt als Ort des kulturellen Austausches und Entertainment

2 Cyberspace und digitale Netze als neue Funktionsräume

2.1 aktuelle stadtbestimmende, globale und lokale Faktoren
2.2 Neue Technologien, Medien, Netze und neue Communities
2.3 städtische Funktionen im virtuell, digitalen Raum
   2.3.1 Beweggründe für die Nutzung von IuK-Technologien
   2.3.2 Funktionen und Aufgaben von IuK-Technologien und digitalem Raum

          2.3.2.1 Information, Kommunikation, Öffentlichkeit und Aufklärung
                     (gesellschaftlich, politisch)
          2.3.2.2 Transaktion und Produktion (wirtschaftlich)
          2.3.2.3 Innovation und Wissensspeicher (evolutionär)
          2.3.2.4 Kultur und Entertainment (kulturell)

3 Stadt im Spannungsverhältnis neuer Informationstechnologien und veränderter Anforderungen

3.1 Auswirkungen auf traditionelle räumlich-soziale Muster
   3.1.1 grundsätzliche Auswirkungen auf räumlich-soziale Parameter
          3.1.1.1 Raumerfahrung - Auflösung von Grenzen und Abhängigkeiten
          3.1.1.2 Zeiterfahrung - Synchronität / Asynchronität
          3.1.1.3 Gesellschaftserfahrung - IuK-Technologie als Mittel zur Auflösung oder
                      Verstärkung sozialer Chancenungleichheit?
          3.1.1.4 Persönlichkeitserfahrung - Multidimensionalität der Persönlichkeit
    3.1.2 direkte Auswirkungen auf die räumliche Konstitution traditioneller städtischer
             Funktionen

          3.1.2.1 Zentralisierung und Konzentration gegen Dezentralisierung und
                      Streuung
          3.1.2.2 Information, Kommunikation, Öffentlichkeit und Aufklärung
                      (gesellschaftlich, politisch)
          3.1.2.3 Transaktion und Produktion (wirtschaftlich)
          3.1.2.4 Innovation und Wissensspeicher (evolutionär)
          3.1.2.5 Kultur und Entertainment (kulturell)

3.2 Kritische Faktoren für die Verlagerung von Funktionen
   3.2.1 Basisfaktoren
         3.2.1.1 Abbildungsperfektion / Vielfalt der Sinne
         3.2.1.2 Interface-Schwächen
         3.2.1.3 Leidenschaft zur Nähe, persönliche Autentizität, Materialität des
                     Menschlichen
   3.2.2 wirtschaftlich-technische Faktoren

4 Integratives, topologisches Stadtverständnis – Reflektionen und Trends stadt- und raumphilosophischer Debatten

4.1 zur Idee eines Global Village
4.2 vom Menschenbild zum Stadtbild
4.3 materiell-räumliche Städte als Wellentäler im global-virtuellen Stadtraum
4.4 Raumstrukturen
4.5 Kontrolllosigkeit in der aktuellen und zukünftigen Stadt
4.6 zur Bedeutungsrückkehr des materiell-natürlichen Raumes
4.7 gesellschaftliche Fragmentierung – Aufstieg oder Ende einer gemeinsamen kulturellen Realität?
4.8 neue wirtschaftliche Muster in der globalen Stadt
4.9 die intersubjektive Schaltung als Aufgabe

5 Gestalterische und Planerische Handlungsansätze zur Verknüpfung von materiellen und virtuellen Stadtteilen

5.1 Gesellschaftliche Segregation / digital divide
5.2 Virtuelle Communities
5.3 Digital shelter oder die Frage nach der Selbstbestimmtheit im Informationsraum
5.4 Gesellschaftliches Bekenntnis zur materiell-räumlichen Nähe
5.5 Stadtportale als Informationsdrehscheibe und Kommunikationsplattform lokaler Netzwerke
5.6 Orientierung und Information im Stadtraum
5.7 Wirtschaftliche Standortbedingungen zwischen Dezentralisierungs- und Konzentrationserscheinung
5.8 endogen orientierte Stadtentwicklung – integriertes, aktivierendes Stadtmanagement
5.9 Informationstechnische Infrastrukturen
5.10 Förderung von Innovationsnetzwerken
5.11 neue kulturelle Atmosphärenräume in der Stadt

6 Fazit

7 Abbildungsverzeichnis

8 Quellen




copyright: Jens Mofina, 2002, bildquellen:
bild1: Kajo / Johnsson: "common playground" in: cast01 // living in mixed realities - www. netzspannung.org/cast01
bild2: www.cybergeography.org